Es war einmal...
 
   ...ein Volk aus winzigen, wildaussehenden Zwergen. Sie lebten zwischen den Steinen des riesigen Meeres aus Sand das von den zerklüfteten Wänden des Stoabergs ins Tal zog. Der feingemahlene Sand den sie aus den herabfallenden Felsblöcken der gewaltigen Pfeiler über ihnen gewannen, bot ihnen Nahrung im Überfluss. Der Älteste unter ihnen trug einen Bart der fast bis zum Talgrund reichte. Allen Wildtieren – Füchsen, Rehen, Hirschen, Hasen und sogar den Gemsen bot er Schutz, Nahrung und Wärme. Sein Bart war derart lang und schwer, dass der Zwergenälteste sich nicht von der Stelle bewegen konnte. Er saß nur da, schaute in sein Reich und bewunderte es. Seine Freunde schickte er in die Felsen des unnahbar scheinenden Berges den sie liebevoll Großvater nannten. Sie bewegten sich flink und geschickt, bauten Bänder und Schluchten durch die sie an die Felsblöcke ihres Geschmackes herankamen. Manchmal begegneten sie einigen Menschen die ihre Bänder und Schluchten benutzten um auf das Haupt ihres Großvaters zu steigen. Unwissend wie die Menschen waren, konnten sie das Zwergenvolk nicht erkennen. Nur ab und zu, wenn sie den fallenden Steinen auswichen, überkam sie ein Hauch von Ahnung. Um ihr Volk zu ernähren und den schützenden Bart ihres Ältesten zu erhalten, musste das Zwergenvolk Tag und Nacht arbeiten. Die gewachsenen Zahl an menschlichen Besuchern machte es ihnen jedoch schwer. Zumal sie keinen dieser Menschen durch fallende Steine verletzen wollten, verrichteten sie den Großteil ihrer schweren Arbeit ohnehin schon in der Nacht.
   Nur durch Zufall kreuzten sich die Wege eines dieser Menschen mit dem Zwergenvolk. An einem kühlen Herbstabend während eines brennenden Sonnenunterganges vergaß dieser Mensch auf den Heimweg. Er war schon oft hier heroben gewesen, glaubte jeden Stein zu kennen. Aber zum ersten mal sah er nun das geschäftige Treiben in den Wänden, Pfeilern und Schluchten. Als er so erstaunt in die Runde der entflammten Felsgipfel blickte, bemerkte er auch worauf er saß. Klar und deutlich erkannte er in der untergehenden Sonne die Struktur des riesigen Bartes der ihn in der herbstlichen Kälte angenehm zu wärmen schien. Interessiert begann er zu suchen wo dieser Bart seinen Ursprung nahm und stolperte in der Dämmerung alsbald über den Ältesten des Zwergenvolkes. Die beiden verstanden sich gut und es begann ein Gespräch das die ganze Nacht hindurch andauern sollte. Der Mensch erkannte die Ängste und Sorgen des Zwergenvolkes, versprach auch auf diese Rücksicht zu nehmen und alles in seiner Macht stehende zu tun um ein reibungsloses Nebeneinander ihrer beiden Welten zu ermöglichen. Als Gegenleistung verriet der Zwergenälteste dem Menschen die besten und schönsten Wege durch die Wände und Pfeiler ihres Großvaters. Der Fels würde auf diesen Wegen fest und rau sein. Für die Belange des Zwergenvolkes also ohnehin von nicht allzu großer Bedeutung, da es schwere Arbeit bedeutete aus diesem eisenfestem Gestein Blöcke zu lösen.
   Als der Morgen graute, hatten die beiden Freundschaft geschlossen und die aufgehende Sonne ließ die Welt für den Menschen wieder im Alltagslicht erscheinen. Der Mensch kam noch oft an diese Stelle, blieb übernacht und beobachtete die Felsen ringsum. Von den Zwergen sah er allerdings bis zum heutigen Tag nie mehr etwas. Wenn er aber auf das Haupt ihres Großvaters kletterte begegnete er überall ihren Spuren. Jede Ritze, jedes Band enthielt Zeugnis ihres enormen Arbeitspensums. Und jedes Mal wenn es in den Schluchten polterte oder sich im riesigen Meer aus Sand ein neuer Stein fand, wusste er, dass sie noch da waren, die wildaussehenden, winzigen Zwerge.
 
(Unter den Südwestpfeilern des Gr.Ochsenhorns im sogenannten Fellerer Sand findet man schön nach Größe geordnet deutliche Spuren dieses wunderlichen Treibens) 

Wer genau hinsieht, sieht sie - die Stoabergzwerge. Sie sind harmloser als sie aussehen.